Teil 6 meiner Reitgeschichte
Nichts ist schöner als ein entspannter Ausritt in die freie Natur, das hörte ich jetzt seit Wochen täglich von meinen Stallkollegen. Ja, es war auch mein Ziel, irgendwann genüßlich durch den Wald zu reiten und all die schönen Orte zu sehen von denen mir immer erzählt wurde. Meine Reitlehrerin Barbara fing auch langsam an davon zu reden, dass wir es im Spätsommer auf jeden Fall wagen wollen. Einen ganz gemütlichen Ausritt, sie wollte Rosii als Handpferd nehmen, dass ja nichts passieren kann. Gut – mit dem Gedanken konnte ich leben. Denn jedes Mal wenn meine Reitkollegen aufbrachen stach es mich ins Herz, auf der einen Seite war es ein bisschen Neid, auf der anderen Seite Angst. Ich wusste nicht was mich bei einem Ausritt erwarten würde. Und so kam es dann doch ganz anders. Ende August, ein bewölkter Tag, etwas kühler als die letzten Tage und morgens leichter Regen. Meine Tochter hatte inzwischen ein zweites Pferd, ihre Haflingerstute Una. Ich war Zuhause und räumte gerade den Frühstückstisch auf, als ich eine SMS von Barbara bekam. Wir reiten um 11.00 Uhr los, bitte pünktlich sein. Mein Herz raste. Oh Gott, ich brauche eine Ausrede. So unvorbereitet geht das gar nicht, ich bin alles, aber nicht spontan. Ausserdem dachte ich wir wagen es zuerst alleine, doch ich wusste, dass heute ein Ausritt mit größerer Gruppe geplant war. Hin- und hergerissen lief ich wirr herum und suchte meine Reitklamotten. Irgendwas in mir lies mich nicht absagen und so fuhr ich beängstigt zum Stall. War ich schon sattelfest genug? Konnte ich mich halten wenn Rosii einen Hüpfer machte? Reitkappe und Sicherheitsweste – ist das ausreichend? Oder doch lieber eine Ritterrüstung? Kaum am Stall angekommen übernahm Barbara sofort das Ruder, sie gab mir klare Anweisungen und ehe ich mich versehen konnte saß ich auf Rosii und ritt den Hof hinaus. Wir waren eine Gruppe von 8 Reitern, inklusive Barbara, meiner Tochter und mir. Die Gruppe war sehr rücksichtsvoll und nahm mich in die Mitte. Die erste Zeit klopfte mein Herz bis zu den Zehenspitzen. Wird das gut gehen? Komme ich heil zurück?
Die ersten Meter musste ich meine Angstmauer abbauen. Sollte ich vielleicht lieber absteigen und zurück führen? Ich könnte den anderen in der Zwischenzeit einen Kuchen holen und Kaffee machen – dann können wir anschließend noch ein bisschen zusammen sitzen. Barbara ritt neben mir und holte mich aus den Gedanken. Gerade sitzen und Zügel etwas nachgeben, dann fing sie an zu plappern, über Rosii und wohin wir reiten werden, über das Wetter – alles mögliche. Und ehe ich mich versah wich das ungute Gefühl und ich konnte erstmal meinen Blick weg von Rosii’s Ohren hin zur grandiosen Landschaft wagen. Herrlich! Ich fühlte das Pferd unter mir das ich kannte, die vertrauten Bewegungen und die Ruhe die sie ausstrahlte. Rosii ist ein echter Geländeprofi, für sie ist ein Ausritt eine wahre Freude. Barbara meinte auch, dass sie ganz genau weiß wer auf ihr sitzt und dass sie sich benehmen muss. Das bezweifelte ich, aber unsere Beziehung hatte sich in den letzten Monaten sehr vertieft, so hoffte ich einfach darauf, dass sie auf meine reiterlichen Schwächen Acht geben würde. Bei einem Geländeritt sieht man seine Heimat mit ganz anderen Augen. Wege und Straßen, Wälder und kleine Orte die mit dem Auto nicht erreichbar sind. Man lernt seine Umgebung völlig neu kennen. Ein komplett anderer Blickwinkel.
Was ich aber nicht bedacht habe, Rosii ist im Schritt sehr flott unterwegs. Sie kann es gar nicht leiden hinter einem langsameren Pferd hinterher zu trotten. Plötzlich führte ich die Gruppe an – ich war mächtig stolz. Von hinten hörte ich nur Zurufe – “bei der nächsten Abzweigung rechts in den Wald reiten”. Bergauf, bergab, über Felder, durch kleine Orte hindurch. Vorbei an Autos und Traktoren. Ich wusste Barbara immer dicht hinter mir, was mir eine enorme Sicherheit gab. Ich musste zwischendurch bei dem Gedanken an meine Tochter schmunzeln, sie ist wirklich ein großer Angsthase, vermutlich hat sie im Moment mehr Angst als ich.
Als wir jedoch einen kleinen Bach überqueren sollte machte Rosii halt. Da geh ich auf keinen Fall durch gab sie mir deutlich zu verstehen und schlug den Rückwärtsgang ein. Viele Versuche aber keine Chance. Die kleine sture Rosii wollte nicht. Der Sicherheit wegen stieg ich ab und führte sie durch den Bach. Barbara befürchtete, dass sie sonst mit einem großen Satz über den Bach springen würde. Jetzt hatte ich nasse Schuhe, na toll. Aber heute konnte mir nichts mehr die Laune verderben.
Nach ca. 2 Stunden machten wir eine Pause und ließen die Pferde in einer Wiesen ein bisschen grasen. Großen “Respekt” hörte ich von meinen Reitkollegen, ja ich war auch stolz auf mich. Der Rückweg war sehr entspannt. Inzwischen blau-weißer Himmel und die Sonne blickte zwischen den Wolken hindurch. Am Stall wurden die Pferde versorgt – mit Heu und für Rosii heute eine extra Karotte als Belohnung, dass sie so gut auf mich aufgepasst hatte. Für uns Reiter gab es auch eine zünftige Brotzeit, wir saßen noch lange zusammen und genossen den Sonntag. Ich war überglücklich und fühlte mich erstmalig wirklich zugehörig.