Warum Pferde und Reiten alles verändert haben….
Für viele mag diese Überschrift lächerlich, übertrieben oder naiv klingen, aber auf mich trifft es 100%ig zu. Ich hätte selbst nicht gedacht, dass man sein Leben Ende 50 noch mal so rigoros und dazu noch völlig unbeabsichtigt verändern kann. Es kam bei mir nicht über Nacht, es war ein schleichender Prozess über den ich heute noch oft schmunzeln muss. Vor kurzem habe ich überlegt wann mein Fernseher das letzte Mal gelaufen ist und musste feststellen, dass ich es nicht weiß. Vor einigen Wochen habe ich mir den aktuellen Tatort auf dem Laptop angesehen, da ich zu spät nach Hause gekommen bin um die Folge im TV zu verfolgen. Der Fernseher ist früher täglich gelaufen, nach der Arbeit, oft sogar schon beim Abendessen. Heute unvorstellbar.
Aber was hat sich denn nun genau verändert?
Ich bewege mich täglich! Ohne Übertreibung, es vergeht kein Tag an dem ich nicht am Stall bin, zum Reiten, Bodenarbeit oder Spaziergänge mit Pferd und Hund.
Ich bin täglich an der frischen Luft. Egal ob Winter oder Sommer, die Pferde müssen versorgt und bewegt werden. Da wird nicht überlegt ob es zu kalt oder zu heiß ist. Was muss, das muss.
Wetter? Ja das gibt es – aber kein Grund Zuhause zu bleiben. Das war für mich anfangs noch nicht ganz so einfach. Minus 10 Grad? Da gehe ich doch nicht vor die Türe. Aber hier gilt auch – die Pferde müssen versorgt und bewegt werden. Wenn der innere Schweinehund erst mal besiegt ist, stellt man schnell fest, dass jede Jahreszeit ihre Reize hat und der Spruch es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur schlechte Kleidung, wirklich stimmt.
Ich habe gelernt über meinen Schatten zu springen. Das war und ist heute noch mein größtes Problem, Ängste und Scham können einen manchmal wirklich wahnsinnig machen. Unzählige Male musste ich über meinen Schatten springen, etwas wagen, etwas probieren anstatt gleich Nein zu sagen oder davon zu laufen. Die Erfahrung ist eindeutig, dass man nur bereut, was man nicht getan hat. Also ist über den eigenen Schatten springen für mich zur persönlichen Herausforderung geworden. Irgendwann dann nicht nur mehr beim Reiten. Ich habe die Erfahrung mitgenommen, in berufliches, privates und viele kreative Dinge. Bisher habe ich es noch nicht einmal bereut, wenn dann nur es nicht schon viel früher gewagt zu haben.
Neue Menschen sind in mein Leben getreten. Menschen die ich nicht mehr missen möchte. Hobby’s verbinden definitiv. Anfangs waren es ausschließlich Gespräche über unsere vierbeinigen Freunde. Mittlerweile wird über Gott und die Welt gequatscht und es sind tolle Freundschaften entstanden. Wo und wie soll man bitte schön mit über 60 Jahren noch Gleichgesinnte kennenlernen und neue Freunde finden? Bei mir war es ganz klar unser Stall.
Ich lerne, täglich! Ja, ich muss zugeben, dass es sehr vieles gibt das ich bisher nicht wusste. Seit meine Tochter mit 5 Jahren das erste Mal auf einem Pferd gesessen ist, dreht sich alles um Pferde. Es gibt unzählig viele Bücher über Pferdehaltung, Krankheiten, Reitweisen, Fütterung und und und. Dazu ein ganzer Schrank voller DVDs zu den gleichen Themen. Ich war schon immer Abholer vom Reitstall, Stallbursche und Helfer für alles Mögliche, jedoch lernt man wirklich erst richtig wenn man sich damit beschäftig, genau zuhört und hinschaut. Einige Dinge hätte ich lieber nicht lernen müssen, z.B. die Krankheiten die wir in den letzten Jahren mit unserer Islandstute erfahren mussten. Aber das gehört auch dazu. Heute weiss ich was bei einer Kolik zu tun ist, was Hufrehe und Cushing ist und vieles mehr.
Vertrauen hat heute eine andere Bedeutung. Zu diesem Thema hab ich vor Kurzem einige detaillierte Beiträge geschrieben. Vertrauen hat nicht nur eine andere Bedeutung bekommen, ich habe auch gelernt, wie Vertrauen entstehen kann.
Vertrauen gewinnen – Haflinger Stute Una
Vertrauen gewinnen – Island Stute Rosii
Ich kann heute ohne Worte kommunizieren – wenn ich will 🙂 Ein Pferd nur mit Körpersprache zu bewegen ist faszinierend, aber es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Meist steht mir meine eigene Inkonsequenz im Wege. Deshalb trainiere ich Freiarbeit im Moment nur mit Trainerin und nur wenn ich mich wirklich konzentrieren kann. Wer denkt die Arbeit mit Pferden sei kinderleicht der täuscht sich. Und mit meinen 60 Jahren habe ich noch einiges zu lernen.
Ich habe ein neues Wohnzimmer. Wenn ich nicht Zuhause bin, bin ich sicher am Stall. Denn nicht nur die Zeit mit den Pferden, sondern auch mit den Stallkollegen hat überdimensional zugenommen. Im Sommer wie im Winter sitzen wir gerne nach dem Reiten beisammen und reden über dies und das. Die Zeit vergeht dabei wie im Fluge, erst kürzlich ist mir aufgefallen, dass ich mein Wohnzimmer in den letzten Monaten kaum genutzt habe, besonders der Fernseher ist ausser Betrieb.
Meine Interessen sind vielschichtiger geworden. Die Pferde haben mir in vielen Dingen die Augen geöffnet und Interessen an anderen Dingen rund um die Natur und Gesundheit geweckt. So habe ich angefangen mich mit alternativen Heilmethoden, Hausmitteln, Osteopathie und vielem mehr zu beschäftigen. Bei vielen Dingen waren die Pferde Anlass, mittlerweile habe ich das jedoch ausgeweitet und wende vieles auch selbst an. Es gibt so viele spannende Dinge, die ich bisher nicht gewusst oder geschätzt habe. Ein weiteres Phänomen ist sicherlich, dass man auf dem Pferderücken sehr viele Eindrücke gewinnt die man als Autofahrer oder Spaziergänger einfach nicht so wahrnimmt. So bin ich auch dazu gekommen immer mehr Natur Fotos zu machen, denn auf dem Pferd ist der Radius den man zurück lehnen kann auch wesentlich größer.
Ich lese Fachzeitschriften und Themen-Blogs. Und das regelmäßig, meine Lieblings Fachzeitschriften werden heiß erwartet, die Blogs jeden zweiten Tag nach Neuigkeiten geprüft. Ich verschlinge geradezu alle neuen Informationen und hätte nie gedacht, dass Fachthemen mich so in ihren Bann ziehen können.
Muskeln? Ich weiss jetzt, dass ich Muskeln habe die ich fast 60 Jahre nicht bemerkt habe, zumindest nicht bewusst.
Ich weiß jetzt, dass Reiterhosen durchaus modisch sein können. Und nicht nur die Hosen, auch die Schuhe, Jacken, Shirts und Westen. Ich habe festgestellt, dass man mehr Zeit damit verbringen kann für ein Tier zu shoppen als für sich selbst. Regelrecht erschrocken bin ich anfangs bei dem Blick auf die Uhr wenn wir in einem der zahlreichen Megastores für Reitsport-Bedarf waren. Man möchte ja nur schnell ein neues Halfter holen… daraus wurden Stunden. Hier die Reitbekleidung, da die Pflegeartikel, die neuen Trensen, Sättel, Leckerli, Decken… Man kann sich regelrecht verlieren. Ich habe aber auch festgestellt, dass man nicht nur mehr Zeit damit verbringen kann, sondern für seine vierbeinigen Freunde und die Reitausstattung wesentlich mehr Geld ausgeben kann als bei einem Outfit Shopping.
Kondition, ja die habe ich jetzt. Spaziergänge waren früher nicht wirklich mein Ding, Sport im Allgemeinen sowieso nicht. Woher sollte ich also Kondition haben? Auch heute ist sie nicht so wie ich sie gerne haben würde. Aber was nicht ist kann ja noch werden. Die tägliche Bewegung hat mir eine Grundkondition beschert, von der ich vor 15 Jahren geträumt hätte. Wenn ich mich an meine ersten Reitstunden zurück erinnere, nach 20 Minuten mit hoch rotem Kopf eine Pause herbeisehnte, freue ich mich heute über jede Runde die ich beim Leichttraben mehr schaffe ohne aus der Puste zu kommen. Lange Spaziergänge sind konditionell kein Problem mehr. Wenn mein Hallux sich nicht immer wieder melden würde, wäre ich hier sicher stundenlang mit Rosii unterwegs.
Ihr seht also, ich habe meine Gründe diese Behauptung aufzustellen. Ich kann nur jedem ans Herz legen sich eine Sache im Leben zu suchen die Spaß macht. Es gibt immer tausend Gründe die gegen ein neues Hobby oder eine Aufgabe sprechen, aber es gibt noch viel mehr Gründe die dafür sprechen! Alter, Zeit und Überwindung haben bei mir Anfangs eine sehr große Rolle gespielt. Aber Zweifel und Ängste sind dazu da um überwunden zu werden.